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Wissenschaftliche Berichte:

R. Paumann, R. Obernosterer, P.H. Brunner:
"Wechselwirkungen zwischen anthropogenem und natürlichem Stoffhaushalt der Stadt Wien am Beispiel von Kohlenstoff, Stickstoff und Blei (Projekt WAU)";
1997.



Kurzfassung deutsch:
Die Ziele vorliegender Arbeit waren es, auf Basis bestehender Studien den anthropogenen und den natürlichen Güter- und Stoffhaushalt der Stadt Wien mit Hilfe des Instrumentes Stoffflussanalyse zu erfassen und zu verknüpfen, zukünftige Umweltproblem zu erkennen und in ersten Ansätzen Bewertungskriterien für einen ressourcenschonenden und langfristig umweltverträglichen urbanen Güter- und Stoffhaushalt zu definieren.

Die Anthroposphäre Wiens (Infrastruktur, private und öffentliche Haushalte) wächst mit 1 % bis 3 % jährlich. Die nicht bebaute Fläche nimmt jährlich um 0,4 % ab, die pflanzliche Biomasse in den Wäldern Wiens um 0,7 % zu.

In der Anthroposphäre werden Stoffe rund 10mal mehr angereichert als in der Umwelt Wiens. Der jährliche Zuwachs in der Anthroposphäre beträgt 1,1 % bis 3 % bei Kohlenstoff, 1 % bis 2 % bei Stickstoff und 0,5 % bis 1,5 % bei Blei.

Die Stickstoff- und Bleimengen im Boden inklusive Vegetation wachsen infolge der Ablagerung von Luftschadstoffen (vor allem trockene Deposition) aber auch der Aufbringung von Dünger mit 0,3 % (Stickstoff) und 0,1 % (Blei) jährlich. Das Kohlenstofflager im Boden inklusive Vegetation nimmt infolge des Zuwachses pflanzlicher Biomasse im Wald mit 0,3 % jährlich zu. Die größte Stoffanreicherung in Wien stellt der Zuwachs an Stickstoff im Grundwasser dar (3,3 % jährlich). Die Hauptursache dafür ist der Stickstoffeintrag aus landwirtschaftlich genutzten Böden.

Anhand der Ergebnisse der Stoffflussanalysen werden die Güter- und Stoffflüsse zwischen Anthroposphäre und Umwelt (Emissionen, Ressourcen) bewertet. Als Bewertungskriterien für Emissionen wurden 1) der sogenannte `Risk-Assessment-Faktor´, der das Verhältnis von toxikologischen Grenzwerten zu gemessenen oder mit Hilfe der Stoffflussanalyse berechneten Konzentrationen in Umweltmedien darstellt und 2) der `Geogene-Referenz-Faktor´, der das Verhältnis von anthropogenen zu natürlichen Stoffflüssen darstellt, gewählt. Ein Bewertungskriterium für Ressourcen stellt der Selbstversorgegrad (Autarkiegrad) der Stadt Wien im bezug auf Ressourcen (z.B. Energieträger, Trinkwasser) dar.

Im Jahresmittel liegen der `Risk-Assessment-Faktor´ für Kohlenstoff-, Stickstoff- und Bleiverbindungen in der Wiener Luft und in der Donau < 1, das bedeuted, dass toxikologische Grenz- und Richtwerte (z.B. Imissionsrichtlinie Fließgewässer, TA-Luft) in Wien nicht überschritten werden. Der `Geogene-Referenz-Faktor´ zeigt jedoch, dass anthropogene Emissionen rund 10 bis 800mal größer sind als vergleichbare Stoffflüsse eines `natürlichen Ökosystems´. Dies macht deutlich, dass die Einhaltung von Grenzwerten in Umweltkompartimenten, die ein hohes Verdünnungspotential (rascher Austausch von Luft und Wasser) haben, nicht als alleiniger Maßstab für die Umweltverträglichkeit von Emissionen geeignet ist. Vielmehr müssen auch die gesamten Emissionsfrachten anhand geogener Referenzflüsse bis zur letzten `Senke´ (z.B. Schwarzes Meer für Emissionen in die Donau) bewertet werden. Sowohl der im Rahmen dieser Arbeit erhobene Risk-Assessment-Faktor als auch der Geogene-Referenz-Faktor ergeben eine Priorität der Maßnahmen für N > Pb > C in der Luft und C > N > Pb im Abwasser.

Die Stadt Wien ist bei den betrachteten Ressourcen Energieträger, Trinkwasser und Verdünnungsvolumen für Abwässer vom Umland abhängig, der `Autarkiegrad´ liegt somit < 100 %. Er beträgt bei Energieträger im Jahr 1993 6,4 % und stammt im wesentlichen aus brennbaren Abfällen. Die Berechnung eines `Zukunftsszenarios´ zeigt, dass beispielsweise eine verstärkte Nutzung von Holz des Wienerwaldes den Autarkiegrad für Energieträger nur wenig steigern könnte (+ 0,1 %). Würde jedoch die in Wien vorhandene Ressource `Solarstrahlung´ genutzt, und würde eine Einsparung des Energieverbrauches um rd. 2,5 % erfolgen, könnte der Autarkiegrad auf rund 34 % erhöht werden. Damit könnte eine Einsparung der Kohlendioxidemissionen um 3,3 Mio t CO2 jährlich, das sind 37 % der derzeitigen CO2-Emissionen Wiens, erzielt werden.
Auch bei Wasser ist Wien vom Umland abhängig. Nur rund 17 % des im Jahr 1991 gebrauchten Wassers stammen aus eigener Förderung (Grundwasser), der Rest wird importiert.
Die größte Abbhängigkeit vom Hinterland ist jedoch im bezug auf Emissionen gegeben. Der jährliche Nettogebietsniederschlag Wiens, das ist der Niederschlag minus der Verdunstung, beträgt nur 2,4 % des `Kritischen Verdünnungsvolumens´ für Abwässer, das ist jene Wassermenge, die benötigt würde, um die Wiener Kohlenstoff-, Stickstoff- und Bleiemissionen, die in die Donau gelangen bis unter den Grenzwert zu verdünnen.

Eine Stadt wird im bezug auf benötigte Ressourcen immer bis zu einem gewissen Prozentsatz vom Umland abhängig sein. Die Entwicklung eines regionalen Nachhaltigkeitskonzeptes für die Stadt Wien setzt die Einbeziehung des Umlandes voraus. Ziel muss es sein, eine Region (Stadt und Umland) ähnlich einem `natürlichen Ökosystem´ zu definieren, in dem Güter- und Stoffkreisläufe zwischen Anthroposphäre und Umwelt so gestaltet werden, dass die Fähigkeit zur Selbstregulation bewahrt bleibt.


Elektronische Version der Publikation:
http://publik.tuwien.ac.at/files/PubDat_143964.pdf


Erstellt aus der Publikationsdatenbank der Technischen Universität Wien.