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Talks and Poster Presentations (without Proceedings-Entry):

A. Kanonier:
"Städte im alpinen Raum";
Talk: Urban 21, Berlin; 2000-07-05.



German abstract:
Städte im alpinen Raum
Die angeführten Aussagen und Thesen beziehen sich ausschließlich auf den österreichischen Alpenraum. Als zusätzliche These kann freilich formuliert werden, daß die Ausführungen wohl auch auf einige alpine Regionen und Städte in Frankreich, Italien, Deutschland und der Schweiz übertragen werden können, da in vielen Fällen die Problemlagen zumindest vergleichbar sind. Inwieweit die Lösungsansätze unterschiedlich sind, wird durch entsprechende vergleichende Forschungstätigkeit zu klären sein.
Ausgangslage und raumrelevante Rahmenbedingungen
Städtische Agglomerationen im alpinen Raum haben eine besondere Stellung für die Entwicklung des Alpenraumes
Ø Auch wenn die Abgrenzung zwischen Stadt und Land auch im alpinen Raum sich zunehmend auflöst sind alpine Ballungsregionen vielfach durch hohe Konzentrationen von Bevölkerung, Arbeitsplätzen und zentralörtlichen Einrichtungen gekennzeichnet, wobei in vielen Tallagen auch vergleichsweise kleinen Städten und Gemeinden eine besondere zentralörtliche Funktion zukommt.
Ø In den alpinen Bereiche sind in der Regel aufgrund der topographischen Gegebenheiten und der Barrierewirkung der Alpen reduzierte Erreichbarkeiten und Zugangsmöglichkeiten charakteristisch, die den regionalen Zentren eine überdurchschnittliche Versorgungsfunktion zukommen läßt.
Ø Die Städte im alpinen Raum erfüllen mit ihrem Arbeitsplatzangebot, das vielfach über die ansonsten vorherrschenden monofunktionalen Arbeitsmöglichkeiten in den Tourismus- oder Landwirtschaftssektoren hinausgeht, oftmals eine wichtige Ergänzungsfunktion im Zusammenhang mit Beschäftigungsmöglichkeiten für die ansässige Bevölkerung.
Knapper Dauersiedlungsraum beschränkt die Entwicklungsmöglichkeiten
Ø Die topographischen Gegebenheiten bewirken, daß der potentielle Dauersiedlungsraum stark beschränkt ist und für Siedlungsaktivitäten nur ein geringer Prozentsatz der Flächen zur Verfügung steht.
Ø In den Tallagen bestehen in den jeweiligen Stadtagglomerationen teilweise ungewöhnlich hohe Konzentrationen und Dichten von Wohnbauten, Industrie-, Gewerbe und Dienstleistungseinrichtungen und zentralörtlichen Einrichtungen – insbesondere im Vergleich mit den Umlandgemeinden.
Ø Die Entwicklungspotentiale der größeren Agglomerationen im alpinen Bereich sind aufgrund der abnehmenden Flächenreserven eingeschränkt. Grundsätzlich geeignete Bauflächen sind vielfach nicht verfügbar, da keine Verkaufsbereitschaft der Grundeigentümer besteht und entsprechende Zwangsmöglichkeiten (zum Verkauf) nicht vorgesehen, bzw. rechtlich problematisch sind.
Ø Aufgrund der räumlichen Enge sind grundsätzlich starke Nutzungsdurchmischungen und -überlagerungen üblich, die teilweise zu gegenseitigen Beeinträchtigungen führen. Nachverdichtungen und Umnutzungen innerhalb bestehender Siedlungsgebiete verursachen teilweise erhebliche Konflikte.
Ø Zunehmend wird für Siedlungsmaßnahmen in Extremlagen (z.B. lawinengefährdete Bereiche) ausgewichen, die aus raumplanerischer Sicht für Bauführungen nur unzureichend geeignet sind.
Zunehmende Nutzungsansprüche
Ø Auch wenn einzelne Bereiche in den Alpen mit Bevölkerungsverlusten und Abwanderungen konfrontiert sind, nehmen insgesamt die Nutzungsansprüche zu, insbesondere für den Wohnungsbau, wobei eine bedeutende Rolle Zweitwohnsitze spielen.
Ø Für touristische und freizeitrelevante Einrichtungen sind in den sensiblen alpinen Regionen vielfach die raum- und umweltverträglichen Kapazitätsgrenzen erreicht, wobei oftmals zusätzliche Großprojekte auf ihre Realisierung warten.
Ø Der knappe Siedlungsraum wird zunehmend durch flächenintensive Verkehrsprojekte zusätzlich reduziert, wobei die Verkehrsbelastungen vielfach die Akzeptanzgrenzen der betroffenen Bevölkerung erreicht haben.
Wachsende Interessenkonflikte
Ø Um ein wirtschaftliches Wachstum zu sichern, wird einerseits auf die Realisierung von zunehmend extremeren Investitionsprojekte im alpinen Raum gedrängt. Andererseits ist der Widerstand gegen Großvorhaben in der regionalen Bevölkerung anhaltend hoch, wobei die Zuordnung von Projektgegnern und -befürwortern teilweise schwierig ist und sich von Projekt zu Projekt verändern kann.
Ø Die Disparitäten der einzelnen Gebietskörperschaften und Regionen im Alpenraum nehmen zu und haben eine verstärkte Konkurrenz und steigenden Wettbewerb zwischen den Regionen bzw. Gebietskörperschaften zur Folge.
Modifizierte Maßnahmen und Instrumente zur Steuerung der (Siedlungs-)Entwicklung im alpinen Raum
Ø Die Gesetzgeber reagieren auf die sich ändernden Anforderungen mit umfangreichen Neuerungen im Planungsrecht, wobei keineswegs einheitliche Regelungstrends bestehen.
Ø Einerseits wird mit zunehmend einschränkende Regelungen auf Fehlentwicklungen (z.B. bei Grünlandbauten, Zweitwohnsitzen, Einkaufszentren) reagiert.
Ø Andererseits soll durch weniger verbindliche Vorgaben eine höherer Ermessensspielraum für die (kommunalen) Planungsträger geschaffen werden (z. B. unverbindliche Konzepte anstelle verbindlicher Pläne, Einführung von Ausnahmeregelungen).
Ø In zunehmendem Maße sind die Höchstgerichte mit Rechtsproblemen im alpinen Raum befaßt, wobei insbesondere Vorgänge und Abläufe im Zusammenhang mit der Steuerung der Siedlungsentwicklung höchstgerichtlich überprüft werden.
Thesen
Einige der Thesen sind keineswegs auf den inneralpinen Raum beschränkt, sondern gelten allgemein für Siedlungsentwicklungen – zumindest in Mitteleuropa. Infolge der spezifischen Problemlage im Alpenraum aufgrund der skizzierten Rahmenbedingungen sind jedoch die sich abzeichnenden Entwicklungen und Trends in solch sensiblen und überlasteten Regionen besonders ausgeprägt.
Grundsätzlich sind Verallgemeinerungen im alpinen Raum nur eingeschränkt zulässig, da extrem heterogene Problem- und Interessenlagen – teilweise in unmittelbarer Nähe – jeweils eine detaillierte Analyse des Einzelfalles erfordern und in der Regel wohl zu stark abweichenden Schlußfolgerungen führen würde. Trotz dieses Vorbehalts lassen sich folgende Thesen formulieren:
Das Konfliktpotential im Alpenraum wird zunehmen
Ø Bereiche mit hohen Siedlungsdichten grenzen unmittelbar an hochwertige Naturschutzgebiete, die zusätzlich intensive touristische Erholungsbereiche darstellen und für die Energiegewinnung genutzt werden sollen, wobei die Grenzen der Belastbarkeit zunehmend überschritten werden. Das unmittelbare Nebeneinander von Siedlungsbereichen mit unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Gegebenheiten wird mit zunehmende Nutzungsinteressen konfrontiert, was aufgrund der knappen Bodenressourcen und den erheblichen Vorbelastungen die Interessenkonflikte verstärken wird, wobei die ökonomischen Aspekte zunehmend entscheidungsrelevant sein werden und die anderen Interessen, wie Umweltschutz und gesellschaftliche Interessen untergeordnete Bedeutung, zukommen wird.
Ø Besonderes starke Nutzungswünsche werden durch regionsexterne Bedürfnisse entstehen, was sowohl für die Bereiche Tourismus und Verkehr als auch für den Umwelt- und Naturschutz gilt. Die Akzeptanz in der lokalen Bevölkerung bezüglich Vorhaben, die in erster Linie der Interessenbefriedigung regions- bzw. talfremder Bedürfnisse dienen, wird tendenziell abnehmen, wenn nicht ein zusätzlicher Nutzen für die lokale Bevölkerung vermittelt werden kann.
Ø Insbesondere bei Großvorhaben wird besonders im alpinen Raum der Widerstand weiter zunehmen und eine Realisierung nur mit erheblichen Schwierigkeiten möglich sein (z.B. Olympische Spiele in Innsbruck, Kraftwerk Lambach, Gletschererschließung Schesaplana, Phyrnautobahn, ...).
Ø Juristische Auseinandersetzungen werden weiter zunehmen, wobei die einzelnen Problembereiche rechtlich nur schwer in den Griff zu bekommen sind (z.B. Zweitwohnsitze, Bauführungen im Grünland, touristische Großprojekte).
Vorhandenen Planungsmaßnahmen und -instrumente werden nicht ausreichen
Ø Die speziellen Planungsaufgaben im alpinen Bereich werden ein besonderes Set von Maßnahmen und Instrumenten erfordern. Die Lösungs- und Regelungsansätze sowohl der hoheitlichen Nutzungsplanung als auch im Förderungsbereich sind zuwenig problem- und fallspezifisch, da sie in der Regel nicht für alpine Bereiche maßgeschneidert bzw. nicht „punktgenau“ sind.
Ø Langfristige verbindliche Planungen werden an Bedeutung gewinnen, wobei gegenwärtig die jeweiligen Maßnahmen in der Regel anlaßbezogen (z. B. aufgrund von Naturkatastrophen oder Weltmeisterschaften) und wenig vorausschauend erfolgen – mit entsprechend negativen Auswirkungen für die Siedlungsentwicklung. Freilich ist derzeit die Bereitschaft der Planungsverantwortlichen, sich langfristig durch verbindliche Entwicklungsleitlinien bzw. durch verordnete Raumpläne oder Schutzgebiete zu binden, in Zeiten einer Deregulierungs- und Liberalisierungseuphorie wenig ausgeprägt.
Kooperationen werden schwieriger
Ø Die Bereitschaft zu Kooperation zwischen Städten und deren Umland ist nur bei spezifischen Problemlagen gegeben und nimmt, insbesondere bei konfliktreichen Materien mit abweichenden Interessen, tendenziell ab.
Ø Von oben „verordnete“ Kooperationsverpflichtungen für Gebietskörperschaften werden die wichtigen Planungsprobleme kaum befriedigend lösen.
Ø Verhandlungslösungen werden an Bedeutung gewinnen, wobei Verhandlungslösungen zunehmend die Bereitschaft einzelner Interessenvertreter erfordern, sich konstruktiv mit Anliegen anderer Interessengruppen auseinanderzusetzen.

Created from the Publication Database of the Vienna University of Technology.