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Dissertationen (eigene und begutachtete):

W. Proksch:
"Internet Governance & Cyberspace Regulation, Die Kontrolle und Verwaltung der Kernbereiche des Internet und die Bedeutung der Architektur des Cyberspace";
Betreuer/in(nen), Begutachter/in(nen): E. Schweighofer et al.; Institut für Völkerrecht, Fakultät für Rechtswissenschaften, Universität Wien, 2003.



Kurzfassung deutsch:
Untersuchungsgegenstand:
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Entstehung, dem Aufbau und dem Bedeutungsumfang des Internet, der Kontrolle und Verwaltung seiner Kernbereiche auf internationaler, supranationaler und nationaler Ebene und den in diesem Bereich tätigen Akteuren. Darüber hinaus wird versucht, den Cyberspace als Summe globaler und virtueller Informations- und Kommunikationsräume vom Begriff "Internet" zu differenzieren und zu definieren. In weiterer Folge wird das Verhältnis globaler virtueller Räume zu Territorialität und staatlicher Souveränität untersucht. Abschließend werden Regulierungskonzepte für die Regelung menschlichen Verhaltens im Cyberspace dargestellt und die Bedeutung der Architektur virtueller Räume in diesem Zusammenhang analysiert.
Aufbau der Arbeit & Thesen:
Die Untersuchung ist in drei Teile - Internet, Internet Governance und Cyberspace Regulation - gegliedert, wobei der erste, im Wesentlichen deskriptiv gehaltene Teil die mE notwendige Grundlage für das Verständnis der beiden anderen Teile bildet. Das letzte Kapitel des dritten Teils soll den Zusammenhang der drei Teile sowie die Notwendigkeit der gemeinsamen Betrachtung nochmals verdeutlichen und damit den Bogen der Arbeit schließen. Im Hinblick auf den eingangs umrissenen Untersuchungsgegenstand stellen sich aus praxis-orientierter, juristischer Sicht nun folgende Fragen:

WER kontrolliert und/oder verwaltet
WAS
WO
WANN
WARUM (bzw auf welcher rechtlichen Grundlage und mit welcher Legitimation) und
WIE ?

Das "WAS" soll vorab im ersten Teil der Arbeit beschrieben werden: Um das Internet zu begreifen und seinen heutigen Aufbau zu verstehen, empfiehlt es sich zunächst, seinen Ursprung und seine bisherige Entwicklung näher zu betrachten und sich einen chronologischen und möglichst präzisen Überblick über bedeutsame Phasen der Entwicklungsgeschichte des Internet und seiner weltweiten Verbreitung zu verschaffen. Letztere wurden zwar in der deutschsprachigen Literatur aus allgemeiner und informatischer Sicht bereits dokumentiert, politikwissenschaftlich seit längerem untersucht, fanden aber rechtswissenschaftlich und insb rechtshistorisch bislang wenig Beachtung. Es werden daher ausgewählte "Netz-Ereignisse", Regulierungsversuche und die Entstehung von in diesem Zusammenhang bedeutenden Institutionen und Organisationen dargestellt. Daran anschließend wird versucht, das Internet und seine Bestandteile zu definieren und insb den Internet-Protokoll-Adressraum, das Bereichsnamensystem (Domain-Name-System), das System der sog Root-Server (Root-Server-System) sowie deren Zusammenwirken zu erklären, wobei auch bedeutende Bereiche der Weiterentwicklung des Internet, va durch Schaffung von Hochleistungsnetzen in den USA und Europa, im Überblick beschrieben werden. Das Internet als Resultat eines anfänglich lediglich für US-Militär und Wissenschaft geschaffenen Netzwerks von Computer-Netzwerken wird dabei als immer weiter verbreitetes, sich rasch weiterentwickelndes, genuin internationales und globales Informations- und Kommunikationsmedium erkannt, dessen stetig wachsende soziale, wirtschaftliche, politische und auch rechtliche Bedeutung und Relevanz auch ein Verständnis seiner Geschichte, seines Aufbaus und seiner Funktionsweise erforderlich machen.

Darauf aufbauend verfolgt der zweite Teil das Ziel, die bisherige Entwicklung und den status quo der Kontrolle und der Verwaltung der Kernbereiche des Internet näher darzustellen und soll der Frage nachgehen, auf welcher rechtlichen Grundlage bzw mit welcher Legitimation die in diesem Bereich tätigen Akteure handeln. Dieser Teil befasst sich dementsprechend va mit dem "WER", dem "WANN", dem "WO" und dem "WARUM". Dabei soll ua gezeigt werden, dass die Verwaltung der Kernbereiche des Internet ursprünglich durch US-Behörden selbst bzw unter direkter Kontrolle derselben erfolgte und auch später tätige Akteure, insb die Firma NetworkSolutions, die IANA und die ICANN , ihre Verwaltungskompetenzen nahezu ausschließlich aus Verträgen mit US-Behörden ableiten. Weiters soll verdeutlicht werden, dass den dreizehn weltweit verteilten Root-Servern und einer einzigen, vom hierarchisch höchsten Root-Server beherbergten, autoritativen Datei, der sog Root-Zone, welche unter Aufsicht des US Deparment of Commerce (US DoC) von den US-amerikanischen Firmen NetworkSolutions bzw VeriSign kontrolliert und verwaltet wird, zentrale Bedeutung hinsichtlich der Funktion des gesamten Internet zukommt. Die globale Verwaltung der Kernbereiche des Internet durch die ICANN, ihre Rechtsnatur und ihre vertragliche Bindung an das US DoC werden im Detail betrachtet. In diesem Zusammenhang soll aber auch auf nationaler Ebene dargestellt werden, dass hinsichtlich der Verwaltung ccTLD .AT durch die österreichische Firma NIC.AT eine gesetzliche Klarstellung, wie die (regionale) Internet-Verwaltung in Österreich erfolgen soll, erforderlich scheint; weiters soll aufgezeigt werden, dass eine Einführung der ccTLD .EU und deren Verwaltung auf supranationaler Ebene der Zustimmung des US DoC, der Firma VeriSign und der ICANN bedürfen.

Für die Fülle von technischen, wirtschaftlichen, politischen und juristischen Fragen, welche die Architektur und die Verwaltung des Internet betreffen, wird dabei die bereits frühzeitig in der englischsprachigen Literatur geprägte aber bislang uneinheitlich gebrauchte, keinesfalls abschließend diskutierte und damit selbst noch in statu nascendi befindliche Bezeichnung Internet Governance als zusammengesetzter Über- und Schlüsselbegriff verwendet und dessen Tauglichkeit gerade im rechtswissenschaftlichen Zusammenhang dargetan. Das Verständnis von Governance, welche mit Herrschaft, Gewalt, Kontrolle übersetzt werden kann, orientiert sich dabei ua an einer Definition der Commission on Global Governance der Vereinten Nationen, welche Governance als Summe verschiedenster Arten, wie Individuen, Institutionen privater und öffentlicher Natur, die sie gemeinsam betreffenden Angelegenheiten - their common affairs - regeln, sieht. Es soll aufgezeigt werden, dass gerade Internet Governance durch das Zusammenspiel mehrerer, unterschiedlicher Regulierungsagenten sozusagen vielschichtig erfolgt, dass sowohl Staaten als auch internationale, zwischenstaatlichen bzw nicht-staatlichen Organisationen, transnationale und nationale Unternehmen und selbst Privatpersonen mitwirken und dass traditionelle territoriale Regelungsansätze zugunsten kooperativer Modelle zurückgenommen werden. Dabei soll aber auch verdeutlicht werden, dass die ICANN als wesentlicher Akteur im Bereich der Verwaltung der Kernbereiche des Internet weder als Internationale Organisation (IO), noch als Transnationales Unternehmen (TNC), noch als (internationale) Nicht-Staatliche Organisation (NGO), sondern wohl am ehesten als Organisation sui generis zu qualifizieren ist und in Anbetracht ihrer Kompetenzen international schwach legitimiert erscheint, woran auch die Reform des Aufbaus der ICANN nichts ändert. Der Problemkreis wird aus völkerrechtlicher, staats- und verfassungsrechtlicher und auch verwaltungsrechtlicher Sicht untersucht und insb auch geprüft, ob Internet Governance als Staatsaufgabe bzw Verwaltungsaufgabe oder Aufgabe einer Internationalen Organisation verstanden werden kann bzw von wem sie wahrgenommen werden sollte. Hier soll einerseits gezeigt werden, dass Internet Governance wohl als (globale) öffentliche Aufgabe gewertet werden kann. Andererseits soll argumentiert werden, dass - im Hinblick auf die immanent globalen Auswirkungen von Entscheidungen im Bereich von Internet Governance und analog zur Behandlung Transnationaler Wirtschaftsunternehmen - eine verstärkte internationale bzw supranationale Kontrolle der ICANN möglich und wünschenswert wäre.

Die im zweiten Teil der Arbeit untersuchte Kontrolle und Verwaltung der Kernbereiche des Internet ist wohl ein wenig mit der Macht über die Weltmeere in früheren Zeiten zu vergleichen, wer das Internet kontrolliert, beherrscht eine wesentliche Grundlage der New-Economy und regiert in gewisser Weise auch neue, virtuelle, internationalen Kommunikationsräume, welche durch das Netz der Netzwerke Internet entstanden zu sein scheinen. Im dritte Teil der Arbeit soll daher versucht werden, den durch das Internet geschaffenen Cyberspace als Summe extraterritorialer, virtueller Räume, zu definieren und von Ersterem zu differenzieren, um eine rechtswissenschaftliche Untersuchung dieses Phänomens überhaupt zu ermöglichen. Neben einer weitern Differenzierung des "WAS" soll dabei ungeachtet der Fülle der mittlerweile für den Cyberspace geschaffenen nationalen, supranationalen und internationalen Rechtsnormen der grundsätzlichen, der bereits frühzeitig aufgeworfenen Frage nachgegangen werden, "WIE" menschliches Verhalten im Cyberspace geregelt wird und inwiefern klassische Regulierungskonzepte auf globale virtuelle Räume überhaupt anwendbar sind. In diesem Zusammenhang wurde in der angloamerikanischen Literatur bereits überzeugend und umfassend dargestellt, dass die jeweilige Architektur für den Charakter und die Natur des Cyberspace bzw von virtuellen Räumen entscheidend ist. Anhand von ausgewählten Beispielen soll im speziellen aufgezeigt werde, dass Rechtsnormen, welche in globalen virtuellen Umgebungen mangels internationalem politischem Konsens gar nicht zustande kämen oder mangels faktischer Durchsetzbarkeit versagen würden, durch die Art der gewählten Netzwerk-Architektur, insb den Einsatz von technischen Standards bzw Code zur Gestaltung des Cyberspace zumindest fallweise substituierbar erscheinen. Es soll dabei beschrieben werden, dass Code nicht als Regulator, sondern als Regulierungsform zu sehen ist, welche von unterschiedlichen Regulierungsagenten (Staat, Wirtschaft, Gesellschaft) gleichermaßen verwendet werden kann. Weiters soll erläutert werden, dass Code dabei nicht Law ist, sondern sich im Gegensatz zu Letzterem durchaus effizient selbst vollzieht und Code wesentlich "schlimmer" als Recht ist, wenn der Code-Geber als Normsetzer, die Ebene der Implementierung, die Möglichkeiten der Umgehung oder Änderung und die Folgen des Code selbst unklar bleiben. Wie dargetan werden soll, findet sich der Code-Unterworfene häufig in einer schwer abänderlichen de-facto-Situation bzw in einem Graubereich unterschiedlichster Formen von Selbstregulierung bzw vielschichtiger Regulierung wieder, wobei eine politik- und rechtswissenschaftliche Untersuchung derartiger, neuer kooperativer Regulierungsmodelle dem untersuchten Phänomen entsprechend selbst noch als sehr jung bezeichnet werden kann. Abschließend sollen die Zusammenhänge zwischen der Verwaltung der Kernbereiche des Internet - Internet Governance - und der Regulierung extraterritorialer, virtuellen Räume - Cyberspace Regulation - aufgezeigt werden. Die Arbeit stellt damit auch den Versuch dar, bereits greifbare Wechselwirkungen zwischen realer und virtueller Welt rechtstheoretisch zu untersuchen.

Erstellt aus der Publikationsdatenbank der Technischen Universität Wien.