[Zurück]


Vorträge und Posterpräsentationen (mit Tagungsband-Eintrag):

I. Gebeshuber, J. Farrugia, U. Felt, N. Wandinger, G. Getzinger:
"Das Gottes-Teilchen. Wenn die (Natur-)Wissenschaft die Antworten liefert, brauchen wir dann noch Religion?";
Vortrag: Podiumsdiskussion anl. der Internationalen Fachtagung "SciCom - Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaftskommunikation", Museumsquartier, Wien; 21.11.2008; in: "Internationalen Fachtagung "SciCom - Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaftskommunikation"", (2008), 3 S.



Kurzfassung deutsch:
Im September diesen Jahres werden im welt-größten Teilchenbeschleuniger, dem LHC, subatomare Teilchen, kollidieren. Mit den Experimenten, die uns bis auf eine Millionstel Sekunde an den Urknall annähern können, sollen in CERN Antworten auf fundamentale Fragen der Teilchenphysik gefunden werden, die dazu beitragen, die Entwicklung der Materie und des Universums zu verstehen. Besteht die Wirklichkeit nur aus durch die (Natur-)Wissenschaft beweisbaren Phänomenen? Oder gibt es eine andere Wahrheit, eine andere Wirklichkeit, die nicht über die naturwissenschaftlichen Methoden fassbar ist? Warum kam es zum Urknall? Was war vor dem Beginn der Zeit?
Die Menschheit ist seit Anbeginn auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Darauf kann die (Natur-)Wissenschaft keine Antworten liefern. Die Soziologie und Psychologie können hier einhaken und Erklärungen finden, warum der Mensch nach dem Sinn seines Daseins sucht. Doch Sinn geben, können auch diese Disziplinen nicht. Religionen entstanden, um
Antworten auf die grundlegenden Fragen der Menschheit zu finden. Jede Religion nimmt für sich in Anspruch, die Welt, wie sie ist, erklären zu können. Diese Erklärungen für den göttlichen Ursprung der Dinge, das Leben nach dem Tod etc. werden als Realität betrachtet. Das positivistisch-materielle Weltbild, das den Kosmos als Ergebnis einer zufälligen und
notwendigen Evolution der Materie sieht, steht im Widerspruch zum metaphysischen Weltbild der Religion, das die Entwicklung des Lebens, der Natur und des gesamten Universums als göttliche Vorsehung sieht. Für Kardinal Schönborn nimmt die rein naturwissenschaftliche Sichtweise des Universum die Wirkungen an ohne die Ursache(n) zu kennen. Die methodischen Einschränkungen der Einzelwissenschaften lassen für die Kirche eine weltanschauliche Position nicht zu.
Alles, worauf die Menschen keine Antwort hatten, wurde übernatürlichen Kräften zugeschrieben. Je mehr Antworten die (Natur-)Wissenschaft lieferte, desto stärker verlor die Religion an Bedeutung. Wird die Religion irgendwann obsolet oder ist noch Platz für den Glauben in unserer Gesellschaft? Oder wird die (Natur-)Wissenschaft von der Gesellschaft mit der gleichen Ehrerbietung bedacht wie die Religion? Zu Zeiten von Galileo Galilei kämpften einzelne (Natur-)Wissenschafter gegen eine übermächtige, alle Bereiche dominierende Kirche. Heute steht eine geschwächte Kirche einer weitgehend technisch-naturwissenschaftlich orientierten Gesellschaft gegenüber. Der Nobelpreisträger für Physik, Steven Weinberg, sieht in allem, was die (Natur-)Wissenschaften beitragen können, um den Einfluss der Kirche zu schwächen, den größten Beitrag zur Zivilisation. Er vergleicht die Religion mit einer alten Tante, die allerlei Lügen erzählt, Unruhe stiftet, nicht mehr lange zu leben hat aber einmal sehr schön war. Werden wir sie vermissen, wenn sie von uns gegangen ist?

Der US-amerikanische Neurowissenschafter Sam Harris definiert die (Natur-)Wissenschaft als Streben nach gesichertem Wissen basierend auf Beobachtung und Experimenten. Nach dieser positivistisch-materialistischen Weltanschauung sind alle Religionen fragwürdig, da weder die Existenz Gottes, noch das Leben nach dem Tod durch Beobachtung und Experimente nachgewiesen werden können. Doch auch in der (Natur-)Wissenschaft gelten heute noch zahlreiche Phänomene als nicht nachweisbar. Dunkle Materie beispielsweise kann nicht gemessen werden. Man weiß nicht, woraus sie besteht. Dennoch hält sie die Galaxien zusammen und man weiß, dass sie existiert.

Unter dem Einfluss von Einstein und seiner Relativitätstheorie, erkannte man, dass die (Natur-)Wissenschaft kein absolutes Leitprinzip sein kann. Karl Popper war der Meinung, dass die (Natur-)Wissenschaft nicht auf alle Fragen Antworten finden kann und auch nie können wird. Für John Gray sind Wissenschaft und Religion Symbolsysteme, die den menschlichen Bedürfnissen dienen: Die (Natur-)Wissenschaft dient demnach der Vorhersagung und der Kontrolle und die Religion der Sinnfrage. Infolge wurden Wissenschaft und Religion als unterschiedliche Einsatzbereiche definiert, die am besten
einander nicht in die Quere kommen sollten: Das auf Versuchen basierende Wissen der (Natur-)Wissenschaft und das metaphysische Wissen der Religion.
Dieser Semi-Positivismus des 20.Jahrhunderts hatte politische wie soziale Konsequenzen. Die Naturwissenschaft-Religion Dichotomie schließt neben wirtschaftlichen und rechtlichen Regulativen auch die Humanwissenschaften aus, die sich in der Regel methodisch nicht des Experimentes zur Belegung ihrer Hypothesen bedienen. Dem methodisch bedingten Zufall
der (Natur-)Wissenschaft steht zudem der innerweltliche Zufall der Religion gegenüber. Zufall ist in diesem Kontext relativ zu einem bestimmten Erklärungsbereich, jedoch nicht relativ zum Universum. Daher steht für die Kirche die metaphysische Ebene nicht neben, sondern über der Ebene der Einzelwissenschaften.

(Natur-)wissenschaftliche Ergebnisse sind kein allgemeingültiger Richtwert. Vielmehr wird auch die Wissenschaft gesteuert. Sie basiert auf einer Reihe von Vermutungen. Die gültigen theoretischen Mutmaßungen, Regeln und Techniken, die von den Wissenschaftern entwickelt wurden, ebenso wie deren Anwendungen konstituieren Paradigmen. Diese Paradigmen verlieren ihre Gültigkeit, wenn neue wissenschaftliche Tatsachen aufliegen, d.h. Erkenntnisse werden durch neue Beweise widerlegt. Beispielsweise verlor Newtons Paradigma seine Gültigkeit als Einstein seine Relativitätstheorie postulierte. Paradigmen sind
zeitlich limitiert und können somit nicht als allgemeingültiger Richtwert, als absolute Wahrheit, definiert werden. Paul Feyerabend stellt daher die (Natur-)Wissenschaft nicht über jede andere Lehre, denn sie ist für ihn ebenso subjektiv wie jede andere Ideologie.
Die säkulare Weltanschauung besteht darauf, dass das sozio-politische System antireligiös ist und die moderne (Natur-)Wissenschaft dessen Grundlage darstellt. Dies impliziert, dass (Natur-)Wissenschaft absolut ist, d.h. unabhängig von Kulturen, Ideologien und Glaubensvorstellungen. Nimmt die (Natur-)Wissenschaft, wenn Sie für sich die Erkenntnis
prolongiert und mit der Religion quasi um die absolute Wahrheit wetteifert, nicht auch die Position einer weiteren Ideologie ein? Macht die Anerkennung der Erkenntnisse der (Natur-)Wissenschaft es unmöglich, an Gott zu glauben? Werden die Wissenschaften je fähig sein, alle Fragen unserer Existenz zu beantworten? Kann Wissen, das durch Experimente
gewonnen wurde, das einzig gültige Leitprinzip der Menschheit sein oder gibt es noch andere, nicht durch den Verstand erfassbare Leitprinzipien?
Hans Klüng fordert in seinem Buch "Am Anfang der Dinge" eine kritisch-konstruktive Interaktion zwischen (Natur-)Wissenschaft und Religion, da er davon überzeugt ist, sie nur gemeinsam Antworten auf die komplexen Fragen des Lebens geben können.
\

Erstellt aus der Publikationsdatenbank der Technischen Universität Wien.