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Vorträge und Posterpräsentationen (mit Tagungsband-Eintrag):

G. Steinhardt, H. Tellioglu:
"Multidisziplinäres Systemdesign als integrierte Technikbewertung";
Vortrag: TA'07 Technikfolgenabschätzung zwischen Inter- und Transdisziplinarität Internationale Konferenz, Wien; 04.06.2007; in: "TA'07 Technikfolgenabschätzung zwischen Inter- und Transdisziplinarität Internationale Konferenz", (2007).



Kurzfassung deutsch:
Systemgestaltung und -entwicklung im ICT-Bereich folgen häufig nach wie vor dem Vierschritt a) Gestalten, b) Erproben, c) Überprüfen, ob das System funktioniert und welche Konsequenzen seine Verwendung hat, d) wenn unerwünschte Folgen oder Probleme auftauchen: Korrektur. Eine solche Vorgangsweise entspricht einer traditionellen reaktiven Technikfolgenab­schätzung, bei welcher eine Evaluation und die Untersuchung auf Konsequenzen des Technikeinsatzes erst im Nachhinein erfolgen. Die prekären Implikationen eines solchen Procedere bestehen darin, dass die Folgen bereits eingetreten sind und eine Behebung zuweilen nicht mehr möglich oder aber sehr aufwändig und teuer ist. Wenn die unerwünschten Folgen und Probleme nicht beseitigt werden, resultiert daraus ein suboptimales oder unbrauchbares System.

In der Technikfolgenabschätzung gab es in der Zwischenzeit einen Paradigmen­wechsel weg von der klassischen reaktiven TFA, welche die Folgen im Nachhinein untersucht und häufig am Prinzip der Gefahrenabwehr sowie an einer dem Emissions-Transmissions-Immissions-Schema folgenden Vermeidung von Gefahren für Umwelt und Gesundheit orientiert ist, hin zu stärker prospektiv orientierten Formen der Technikbewertung (z.B. konstruktive Technikbewertung, innovative/innovationsorientierte Technikbe­wertung, partizipative Technikbewertung).

Wir verwenden den Begriff "integrierte Technikbewertung", um zu betonen, dass es bei der Gestaltung von ICT-Systemen erforderlich ist, Überlegungen und Erkenntnisse zu den möglichen Folgen einer Technik bereits in den Entwicklungs- und Gestaltungsprozess zu integrieren. Multidisziplinäres Systemdesign als Integrierte Technikbewertung orientiert sich an einem breiten Verständnis von Technikfolgen, bezieht insbesondere soziale Folgen mit ein und ist dem Vorsorgeprinzip verpflichtet. Denn die Gestaltung von ICTs ist nie bloßes Design von Technik, sondern immer Design von Soziotechnischen Interaktionsnetzwerken (Kling). Insofern ist auch eine prognostische Experten-Abschätzung möglicher Folgen technischer Neuerungen nicht ausreichend, sondern es ist erforderlich, mögliche Ver­änderungen für die Alltagspraxis und Organisationsstrukturen künftiger Nutzer in die Diskussion um die Ziele und die Gestaltung von Technik­entwicklungs­projekten zu integrieren. Integrierte Technikfolgen­bewertung beginnt bei der Planung und Gestaltung technischer Systeme und ist ein iterativer, diskursiver und partizipativer Prozess, der alle relevanten sozialen Akteure und Stakeholder von Anfang an mit einbezieht.

Im Rahmen des EU Forschungsprojektes MAPPER wurden in mehreren Arbeitsgruppen ethnographische Studien zur Erhebung der Anforderungen und zur Evaluation der entwickelten Technologien und Methodologien durchgeführt. In diesem Beitrag werden zwei Beispiele zur Verdeutlichung unserer Überlegungen erörtert:

Fall 1:
Die schwedische Arbeitsgruppe bekommt ein neues IT-System zur Verwaltung und Konfiguration der Arbeitsprozesse, die model-basiert automatisch generiert und gesteuert werden sollen. Das System wurde von den Entwicklern ohne die Partizipation der NutzerInnen produziert. Mehrmalige Versuche des Einsatzes sind gescheitert, weil das System überhaupt nicht dem entspricht, was die NutzerInnen haben wollten. Das System wird bei seiner Einführung bzw. Anwendung evaluiert, allerdings ist die Evaluation für eine Verbesserung bzw. Änderung nicht mehr brauchbar. Eine Modifikation der NutzerInnenschnittstelle bzw. der Funktionalität ist nicht oder sehr limitiert möglich. NutzerInnen wollen das System nicht einsetzen und die Entwicklung wird eingestellt.

Fall 2:
Die polnische Arbeitsgruppe versucht gemeinsam mit den EntwicklerInnen im Rahmen eines Wizard of Oz Experiments die richtige, von ihnen erwünschte Lösung in Form eines Prototyps zu produzieren. Das Ziel ist es virtuelle Sitzungen unter den Softwareentwicklern zu unterstützen, die im Rahmen von Bug Fixing oder Change Management Prozessen notwendig werden. Das Experiment ist ein interaktiver, partizipativer, multidisziplinärer und offener Prozess. Nutzer stellen fragen, bekommen Antworten, ändern ihre Anforderungen, wenn sie Teile des Systems (als Prototyp) sehen und ausprobieren können. EntwicklerInnen klären vieles gleich in der Sitzung, bevor sie anfangen, Systemteile relativ aufwendig zu entwickeln. Das Ergebnis wird dann dokumentiert und nochmals mit Nutzer evaluiert und schließlich entwickelt.

Im Fall 2 sehen wir ganz eindeutig die Partizipation in der Technikgestaltung und Technikbewertung, während der Fall 1 eine traditionelle TA anwendet. Während die Systementwicklung im Fall 1 scheitert, ist der Erfolg im Fall 2 sehr groß und die Nutzer sind sehr zufrieden. Der Fall 2 ist eine gute Illustration von integrierter Technikbewertung, die in Form eines multidisziplinären Systemdesigns passiert.


Elektronische Version der Publikation:
http://www.oeaw.ac.at/ita/ta07/abstracts.htm#steinhardt


Erstellt aus der Publikationsdatenbank der Technischen Universität Wien.