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Vorträge und Posterpräsentationen (ohne Tagungsband-Eintrag):

E. Günther, B. Ratzer:
""Bei uns hat sich noch keine beworben". Legitimierung von Berufsbarrieren für Technikerinnen.";
Vortrag: Österreichischer Kongress für Soziologie, Linz; 25.09.2013 - 27.09.2013.



Kurzfassung deutsch:
Folgen wir aktuellen wirtschaftspolitischen Diskursen, so soll die Wettbewerbsfähigkeit österreichischer Unternehmen in technischen Marktsegmenten gestärkt und ausgebaut werden, um Österreich als High-Tech-Land zu positionieren. Regelmäßig erreichen die Öffentlichkeit allerdings Hiobsbotschaften, die einen Fachkräftemangel beklagen. Nicht zuletzt an der Anzahl an (politischen) Initiativen, die Ausbildungen in Naturwissenschaft und Technik bewerben und - teilweise speziell für die Zielgruppe Frauen - attraktiv machen wollen, lässt sich die Dringlichkeit des Anliegens ablesen. So hat z.B. im Dezember die Wirtschaftskammer Wien einen Forschungspreis für Arbeiten ausgeschrieben, welche die Gründe für den niedrigen Frauenanteil in der Industrie erheben. In Zeiten des postulierten Fachkräftemangels und gesetzlich verankerter Anti-Diskriminierung geben Firmen an, dass sie nach Technikerinnen suchen und diese mit offenen Armen begrüßen würden. Es scheint so, als ob sich die normative Linie vom "idealen Techniker" verschoben hätte und Frauen - zumindest vordergründig - steigende Berufsaussichten hätten. Gleichzeitig suchen Absolventinnen der TU Wien, insbesondere jene, die keine Mehrheitsösterreicherinnen sind, nach einer ihrer Ausbildung adäquaten Stelle. Eine im Auftrag der Arbeiterkammer erstellte Studie zeigt u.a. dass Migrant_innen - mit Ausnahme von Deutschen - überproportional niedrig qualifizierte Stellen innehaben und auch weniger Aufstiegsmöglichkeiten wahrnehmen (Riesenfelder et al. 2011). Ebenso lässt sich im Wissenschaftsbereich feststellen, dass Frauen mit Migrationshintergrund schlechtere Berufseinstiegschancen haben (Bouffier, Wolffram 2011). Es liegt somit der Verdacht nahe, dass sich Bewerber_innen, die sich nicht nur durch ihr Geschlecht von der Normvorstellung "eines idealen Mitarbeiters" unterscheiden, bei der Suche nach den fehlenden Fachkräften nicht berücksichtigt werden, die vermeintliche Öffnung der Technik für Frauen somit nur zum Teil erfüllt wird. Es stellt sich die Frage, auf welcher Basis der Ausschluss von Minderheiten legitimiert wird.
Dieses Paper untersucht, inwiefern Rekruter_innen von Großunternehmen diese Normverschiebung wirklich teilenbzw. es für notwendig befinden, ihr Personalauswahlverfahren zu legitimieren. Der muslimische Glauben, u.a. ausgedrückt durch das Kopftuch - ein vieldiskutiertes Artefakt - dient in der vorliegenden Untersuchung als Symbol (vgl. Bilge 2010), um der Grenzziehung bei der Normverschiebung nachzugehen. Dazu wurden Leitfaden-gestützte Expert_innen-Interviews mit Rekruter_innen von zwölf Großunternehmen durchgeführt. Alle zwölf Unternehmen rekrutieren regelmäßig aktiv an der TU Wien. Vertreten sind staatsnahe Betriebe ebenso wie internationale Konzerne mit Konzernsitz außerhalb Europas, Betriebe die Produktionsstandorte in Österreich haben genauso wie welche die sich stärker auf Beratung konzentrieren. Das vorliegende Paper zeigt Legitimationsstrategien von Großunternehmen auf, mit denen ein potentiell diskriminierendes Personalauswahlverfahren begründet wird. Als Vertreter_innen der Organisation nach außen sind Rekruter_innen sich durchaus bewusst, welche Normvorstellungen sie formulieren. Dies geht sowohl in die Richtung, warum die Firmen sich bemühen - oder auch nicht - mehr Frauen anzustellen, als auch darum, inwiefern und wenn, wie zusätzliche Normabweichungen wie Nationalität oder Religionszugehörigkeit verhandelt werden. Im Zweifelsfall heißt es: "Bei uns hat sich noch keine beworben."


Elektronische Version der Publikation:
http://publik.tuwien.ac.at/files/PubDat_224751.pdf


Erstellt aus der Publikationsdatenbank der Technischen Universität Wien.