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Diplom- und Master-Arbeiten (eigene und betreute):

K. Giessenbacher:
"Der Candi - Wesen einer Kultur : die Symbolik der traditionellen Steinarchitektur von Zentraljava im Synkretismus der Religionen";
Betreuer/in(nen): E. Lehner; E251-1, 2016; Abschlussprüfung: 28.01.2016.



Kurzfassung deutsch:
Der traditionelle Steinbau in Südostasien findet mit dem Candi auf Zentraljava einen einzigartigen Ausdruck. Doch was genau ist ein Candi? Wofür wurde er gebaut und was macht seine Konzeption, seine Architektur aus? Die Antworten auf grundlegende Fragen zum Verständnis des Candi sollen in dieser Arbeit gegeben werden. Der Candi ist zuallererst religiös motivierte, also sakrale Architektur. Bereits die Bedeutung des alt-javanischen Wortes 'candi' (gesprochen [tschandi]), wenn auch nicht auf einen einzigen deutschen Begriff reduzierbar, gibt uns Aufschluss über seine grundlegende Funktion: nämlich als 'Ort oder Haus, wo der Gott / die Götter wohnen'. Im Sinne eines sakralen Bautyps vergangener Epochen lässt sich das Wort 'candi' vielleicht am besten mit dem uns bekannten Begriff 'Tempel' assoziieren. Gleichzeitig muss schon an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass der Candi doch vielmehr als nur ein Tempel ist, auch wenn sich aus Gründen des besseren Verständnisses in dieser Arbeit öfters mit diesem Begriff beholfen wird. Ebenso möchte ich hier kurz festhalten, dass aus denselben Gründen öfters Begriffe verwendet werden, die uns eigentlich aus dem griechisch antiken Architekturkanon bekannt sind. Der Candi zeigt uns, wie sich durch die Vermischung (Synkretismus) von hinduistischen, buddhistischen und indigenen Religionsansätzen eine lokal geformte Sakralarchitektur entwickelt hat. Gleichzeitig ist der Candi gebautes Symbol für das Wesen der javanischen Kultur, aus der diese lokalen, synkretistischen Bautraditionen entstanden sind. Um also die Inhalte und die Entwicklung des Candi grundsätzlich verstehen zu können, reicht ein architekturgeschichtlicher Blickwinkel alleine nicht aus. Daher beleuchtet diese Arbeit als Grundlage für die architektonische Analyse unter Kapitel 2 auch religions- und kulturgeschichtlichen Hintergründe Südostasiens und insbesondere Javas. Denn erst mit dem Eintreffen der Anfang des 5. Jhdt. n. Chr. noch fremden hinduistischen Lehre sowie des etwas jüngeren Buddhismus 200 Jahre danach, wurde auf Java der Grundstein für die Entwicklung der hindujavanischen Kultur gelegt und somit die Entstehung der Candi-Architektur eingeleitet. Dass sich in der Fachliteratur der Begriff 'hindu-javanisch' als Bezeichnung für diese kulturelle Schaffensphase auf Java vom 5. - 10. Jhdt n. Chr. durchgesetzt hat, liegt aber keineswegs an einer untergeordneten Rolle des Buddhismus. Ganz im Gegenteil widmete sich das javanische Königreich Sailendra intensiv der buddhistischen Mahayana- Lehre, während die Könige des Mataram-Reiches eine lokale Form des Hinduismus favorisierten. Ein besonderer Reiz, den die Architektur des Candi bietet, ist eben auch seine repräsentative Wirkung für eine javanische Kultur, die keine Abgrenzung suchte, sondern im Sinne von Harmonie und Einklang eine Vermischung religiöser, kultureller und letztlich künstlerischer Aspekte zuließ. Eine Tugend, die den Javaner auch heute noch innewohnt. Im Zentrum dieser Arbeit steht die Symbolik des Candi und all seine Elemente, deren Ursprung eben auch in der religions- und soziokulturellen Entwicklung der hindu-javanischen Gesellschaft liegen. In Kapitel 3 soll gezeigt werden, wie kosmologische und mythische Vorstellungen über die Weltordnung und die Natur, Götter, Geister und Dämonen zu wesentlichen Bestandteilen des architektonischen Konzeptes des Candi wurden. Das Vermitteln von religiösen Inhalten führte in der lokalen Bautradition auf Java nicht nur beim Candi zu einer vielschichtigen Symbolik. Auch die vernakuläre Holzarchitektur für Wohn- und Repräsentationszwecke bediente sich der selben Konzepte. Im Mittelpunkt steht dabei die Idee des Bauwerks als symbolischer Organismus, der sich im Einklang mit der kosmischen Ordnung befindet und somit Harmonie in die Welt der Menschen bringen soll. Die Religionen des Hinduismus und Buddhismus boten den javanischen Baumeistern bereits eine ausgeklügelte Entwurfslehre, die in Indien ihren Ursprung nahm und schließlich in der insularen Kultur Javas eine lokale Weiterentwicklung durch Vermischung mit indigenen Bautraditionen fand. Die Javaner vereinigten im architektonischen Konzept des Candi ihre eigenen animistischen Glaubensansätze über die Welt und den Kosmos mit der hinduistischen und buddhistischen Architekturlehre, so dass der Candi viel mehr als nur ein 'Haus der Götter' wurde. Er ist Symbol für die kosmische Ordnung, die Harmonie in der Welt, er ist der Weltenberg mahameru. Er ist Wohnung für die Götter, er ist selbst ein heiliges Wesen, geschaffen von Menschenhand, doch beseelt von transzendentaler Kraft. In ihm wachen die Ahnen über das Wohl ihres Volkes, er steht sichtbar für die Tradition eines Volkes. In ihm kann der Mensch die kosmischen Kräfte seiner Welt begreifen und Ausblick nehmen auf die göttliche Kraft, die ihn am Weg seiner Erlösung in höheren Sphären erwartet. Basis für das Erarbeiten der architektonischen Inhalte der Candi-Architektur war eine Studienreise nach Zentraljava mit dem Zweck der Grundlagenforschung in situ. Zum einen hatte die Recherche zum Ziel, möglichst viele der heute noch vorhandenen Candi in Zentraljava zu besichtigen und im unmittelbaren Umkreis nach schriftlichen und grafischen Quellen suchen zu können. Aufgrund der Fülle von Baudenkmälern, die auf Java heute noch zu sehen sind oder auf ihre Wiederentdeckung warten, konzentriert sich diese Arbeit auf die Candi der hindu-javanischen Königreiche in Zentraljava zwischen dem 7. - 10. Jhdt. n. Chr. Zum anderen folgte eine intensive Phase der Bauaufnahme an ausgewählten Objekten, so dass zu den drei Anlagen Candi Ijo, Candi Barong und Candi Sambisari exakte und umfangreiche Daten erhoben werden konnten. Insgesamt muss festgehalten werden, dass die Forschungsarbeit durch die tatkräftige Unterstützung der Gadjah Mada Universität von Yogyakarta sowie den lokalen Vertretern des nationalen Amts für Denkmalpflege in einem weitaus größeren Umfang realisiert werden konnte, als ursprünglich angenommen. Die in Kapitel 4 angeführte Liste der besichtigten Anlagen zeigt eine breite Palette der wichtigsten hindujavanischen Candi in Zentraljava, die von den Königreichen der Sailendra und Mataram zwischen dem 7. und 10. Jhdt. n. Chr. erbaut wurden. Die verschiedenen Anlagen werden durch kurze Infoblätter mit Basisdaten sowie eine ausführliche Beschreibung und Bildmaterial dargestellt. Dabei werden die wesentlichen architektonischen und geschichtlichen Inhalte behandelt: Erbauung und Entstehungsgeschichte, Lage und Orientierung, Konzeption der Gesamtanlage, Beschreibung von Bausubstanz, Baukörpern und -elementen, Kunst und Dekor, besonderen Merkmalen und Funden, relevante Aspekte der verwendeten Symbolik, sowie die Geschichte der Wiederentdeckung und Restaurierungsmaßnahmen. Bei den Berichten über die heute sichtbaren Bauwerke, an denen in den meisten Fällen Restaurierungs- bzw. Rekonstruktionsarbeiten vorgenommen wurden, kann ich in dieser Arbeit nur von selbst gesehenen Zuständen berichten. Dabei erhebt diese Beschreibung keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da sich so mancher Komplex noch unter Bearbeitung bzw. gar erst am Anfang seiner Restaurierung befindet. Bei der Beschreibung der ursprünglichen Bauwerkskonzeptionen bzw. der Bauzustände bei der Wiederentdeckung muss natürlich auf bestehende Literatur verwiesen werden. Die gesammelten Informationen über die besichtigten Candi waren letztlich eine wichtige Basis, um die unter Punkt 3.3 beschriebenen Themen der Symbolik des Candi erarbeiten zu können. Ebenso konnten die Ergebnisse der Bauaufnahme von Candi Ijo, Barong und Sambisari durch Vergleich mit den anderen Anlagen besser überprüft und verglichen werden. Zu einem späteren Zeitpunkt wird es also möglich sein, die gesammelten Daten und das hier erarbeitete Wissen als Grundlage für eine weiterführende Arbeit zu verwenden. Unter Punkt 6.1 soll als Hilfe für den Leser ein Glossar geboten werden. Darin werden sowohl Begriffe aus dem Sanskrit, seltener auch Pali, Javanisch bzw. dem modernen Indonesisch aufgelistet und erklärt. Der Einfachheit halber werden die Begriffe im Text kursiv hervorgehoben und anschließend in einem gemeinsamen Glossar zusammengefasst; die Herkunft der Wörter wird dabei der deutschsprachigen Erklärung vorangestellt. Was die Transliteration von Begriffen aus dem Sanskrit anbelangt, diente das Sanskrit-Englisch Wörterbuch nach Monier- Williams (Monier-Williams, Sanskrit-English Dictionary, 1899) als Vorlage. Die Schreibweise alt-javanischer Begriffe wurde aus der unter Punkt 6.3 angegebenen Fachliteratur übernommen. Die verwendete Form der indonesischen Wörter richtet sich nach der modernen Schreibweise in Bahasa Indonesia. Da insbesondere die Angaben zu Eigennamen von Candi, Göttern und Orten in der vorhandenen Literatur variieren, beziehe ich mich in dieser Arbeit, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, auf die häufiger gebrauchte Schreibweise. Ebenso wird dem Leser dieser Arbeit auffallen, dass bei einigen wenigen Begriffen die Schreibweise variiert, da es sich sowohl um einen allgemein bekannten Terminus als auch einen Eigennamen handelt. So z.B. wird das Mandala im Sinne eines gezeichneten Diagramms unterschieden vom vastu-purusa-mandala als Entwurfsgrundlage der hinduistischen Architekturlehre. All die hier erwähnten Candi stehen stellvertretend für die vielen Bauwerke dieser Kultur, die durch ihren Verfall oder ihre Zerstörung verloren gegangen sind, aber auch für all jene Candi, die unter der Erde auf ihre Wiederentdeckung warten. Denn der intensiven Beschäftigung des modernen Indonesien mit der eigenen Bautradition ist es zu verdanken, dass auch immer wieder längst vergessene Candi unter Schutt und aus tiefen Schichten von Vulkanasche zu Tage gebracht werden. Auch die Wiederentdeckung per se kann bereits als Tradition bezeichnet werden, die unter der Kolonialzeit der ......

Kurzfassung englisch:
The Candi of Central Java represents a very specific type of traditional stone architecture in Southeast Asia. To obtain a basic understanding for this kind of architecture, first we have to consider some simple questions: what is a Candi? Who built the Candi and why was it built? What was the concept behind the building? What does it stand for? The following thesis offers the primary answers to this questions and furthermore discusses the complex architectural concept of symbolism within the Candi. First of all, the Candi is a religious building. The meaning of the word 'candi', although difficult to translate literally, gives us some information about its basic function as the 'place or house, where the gods live'. So in the sense of a sacral building type of ancient era the word 'candi' may be associated with the common term 'temple'. At the same time, one has to consider, that the Candi represents more functions and meanings than a temple as we interpret it. Anyway, for the reason of better understanding, in this thesis I will link some technical terms from european history of architecture with the building type of the Candi. The Candi shows how a specific type of local sacral architecture can be developed through the syncretism of hinduism, buddhism and indigenous traditions. Insofar the Candi also represents the insular culture of javanese kingdom itself, that created these local architectural traditions. That is the reason, why it isn't enough to look at the Candi from an architectural point of view. For a deeper understanding and knowledge, chapter 2 of the thesis also gives attention to the religious and cultural history of Southeast Asia as a whole and especially of Java as the background for the genesis of this building type. The advent of Hinduism to the archipelago of Southeast Asia in the 5th century A.D. and Buddhism around 200 years later released the development of the Hindu-Javanese kingdoms and furthermore its culture and art. By the way, the denomination 'Hindu-Javanese' for the cultural era in Java around the 5th to 10th century A.D. in literature doesn't mean to ignore the importance of Buddhism. Quiet the contrary, the important javanese kingdom of Sailendra practised a local form of Mahayana-Buddhism, while the kings of Mataram worshipped the Hindu Gods. There lies an unique charm within this architecture, because the Candi represents a javanese culture, that doesn't seek for differentiation, but for harmony through the syncretism of their own and foreign religious, cultural an artistic aspects. A virtue, that is inherent in the javanese culture to the present day. The central topic of this thesis is the sybolism of the Candi and all its elements, that originate from the religious and social-cultural background of the Hindu-Javanese society. Chapter 3 shows, how the perception of cosmology, myth, spherical order in nature, gods and demons became an inherent and essential part of the architectural concept. The embodiment of religious ideas in local traditional architecture led to complex symbolism not only for the Candi. Similar concepts were also applied for vernacular wooden architecture for residential and representative purposes. The fundamental idea sees the building as a symbolic organism, that exists in harmony with the cosmic order and shall bring harmony to the world of men. The Hinduism and Buddhism already offered the javanese master builders a high developed theory of design, which originated from India, but was advanced by the insular culture through the addition of indigenous beliefs and traditions. Thus the Candi became much more than a temple. It is a symbol for the cosmic order, the harmony in nature, it is the mythical mountain mah-meru. The Candi is not only 'the place, where the gods live', rather a sacral organism itself, built by mankind, but ensouled by the gods. Here the ancestors guard their people, and people are aware of their deceased. The Candi offers men the view to a higher sphere full of cosmic divine energy, a sphere that men may reach on their way to salvation. Prior to this thesis, I went on a journey to Java to acquire knowledge about the architectural contents of the Candi. The aim was to visit and examine most of the still existing Candi in Central Java in situ. Furthermore I profited by the possiblity to gather written and graphical information about the seen Candi from professional sources. Due to the plenty of monuments, that scattered around the island of Java, it was necessary to concentrate on Candi built during the Hindu-Javanese kingdoms in Central Java between the 7th and 10th century A.D. Afterwards there followed a detailed building survey on three selected complexes, namely Candi Ijo, Candi Barong and Candi Sambisari. Here I have to express my thanks to the Gadjah Mada University of Yogyakarta and the local representatives of the national authority for heritage and preservation for their support during this time. Chapter 4 shows a list of all visited Hindu-Javanese Candi in Central Java, built by the kingdoms of Sailendra and Mataram between the 7th and 10th century A.D. The different complexes are reported by a short list of basis data, a detailed description, photographs and drawings. It broaches the issue of all architectural and historical topics: period and history of construction, location and orientation, concept of the complex as a whole, description of the state of construction, all parts and elements of construction, art and decoration, special features and discoveries, aspects of symbolism and furthermore history of rediscovery and restauration. The reports of the present-day visible buildings, which most of the time underwent restauration or reconstruction, rely on my own observations and insofar are not exhaustive. As regards original conditions and conceptions of the monuments, I have to point to existing literature in my reports. All the collected information about the visited Candi created the foundation for the topics of symbolism, that are elaborated under paragraph 3.3. Furthermore it was possible to prove and compare the results of the building survey on Candi Ijo, Barong and Sambisari with the other monuments. Later on, I will have the chance to prosecute my ideas and theories about the Candi in advanced papers. The glossary in Chapter 6 supports the reader with an alphabetical list of translations and explanations for all used words in Sanskrit, rarely in Tamil, Javanese and Indonesian language. The origin of the term is prefixed in the German explanation. Terms in Sanskrit language are transliterated by means of the Sanskrit-English Dictionary by Monier-Williams (Monier-Williams, Sanskrit-English Dictionary, 1899). The diction of old-Javanese terms was adopted from the existing literature listed in paragraph 6.3. All used words in Indonesian language comply with the modern spelling in Bahasa Indonesia. Especially the written form of names and places often vary in literature, therefore I refer to the most common versions with no demand for completeness. The reader will also notice, that the diction of few words vary, due to the instance, that they stand on the one hand for a common term and on the other hand for a special name. All of the mentioned complexes are representative for Candi, that collapsed and vansihed, and also for buildings, that are waiting for rediscovery underneath the earth. Thanks to recent intensive efforts, that the modern republic of Indonesia undertakes to prevent the own architectural traditions, more and more Candi monuments are coming to light. The rediscovery itself can be named a tradition today in Indonesia, that started during the Dutch colonial period and went on later by means of the national organisation for culture, heritage and preservation, supported by international cooperations and projects. It is a special pleasure to me, to add my work to the existing research and knowledge on Candi architecture and I hope to give new impulses for deeper understanding and further studies on this extraordinary stone architecture.

Schlagworte:
Candi / Sakralarchitektur / Zentraljava / Synkretismus

Erstellt aus der Publikationsdatenbank der Technischen Universität Wien.