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Wissenschaftliche Berichte:

R. Obernosterer, L. Winkler, B. Lepuschitz, M. Weigert, H. Daxbeck, G. Goger et al.:
"Die CO2 neutrale Baustelle - Ein Beitrag zum Klimaschutz der österreichischen Bauwirtschaft";
Bericht für Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie; Berichts-Nr. 36/2021, 2021; 119 S.



Kurzfassung deutsch:
Motivation und Forschungsfrage
Das im Rahmen des Forschungsprogramms "Stadt der Zukunft" in der 7. Ausschreibung des Bundesministeriums für Klimaschutz (BMK) durch die FFG geförderte F&E-Projekt "CO2-neutrale Baustelle" des Forschungsbereichs Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik an der TU Wien und der Ressourcen Management Agentur (RMA) identifizierte die Chancen und Hemmnisse einer klimaneutralen Baustellenführung.
Ausgangssituation / Status Quo
Die Reduktion der Treibhausgase ist heute ein gemeinsames globales Ziel. Sowohl die EU als auch Österreich haben diesbezüglich ehrgeizige Ziele: die Erreichung der kompletten Klimaneutralität bis 2050 (EU) bzw. 2040 (Österreich). Der Gebäudesektor konnte in den vergangenen Jahren starke Reduktionen bei den Treibhausgasemissionen erzielen. Trotzdem bestehen nach wie vor der Bedarf und das Potential für weitere Einsparungen. Die CO2-neutrale Baustelle stellt hier einen wichtigen Baustein im Lebenszyklus eines Bauwerks dar, der in der Vergangenheit noch nicht umfassend betrachtet wurde.
Projekt-Inhalte und Zielsetzungen
Ziel dieses Projektes war es, eine Methodik zur Identifikation der anfallenden Treibhausgas-Emissionen auf Baustellen in Anlehnung an bestehende Normen zu entwickeln. In einem weiteren Schritt sollten Möglichkeiten zur Einsparung dieser Emissionen aufgezeigt und deren Potentiale qualitativ und - wo möglich - quantitativ bewertet werden. In dieser Forschungsdienstleistung wurde der Fokus auf die Reduktion von Treibhausgasen gelegt. Andere Umwelt- und Gesundheitsaspekte oder Reboundeffekte sind außerhalb des Forschungsumfangs der gegenständlichen Studie.
Methodische Vorgehensweise
Die gestellten Forschungsfragen wurden mittels einer nationalen und internationalen Literaturanalyse, Interviews mit Expertinnen und Experten aus der Baubranche, einer breit angelegten Online-Befragung, sowie einem Workshop in der Arbeit beantwortet. Dadurch konnte die die F&E-Qualität und eine Einbettung in die österreichische Bauwirtschaft sichergestellt werden.
Zurzeit existieren noch keine standardisierten Regelwerke, um alle direkten & indirekten CO2-Emissionen auf einer Baustelle zu identifizieren und notwendige Rahmenbedingungen sowie Technologien für deren Substituierung, Kompensation oder Adaption aufzuzeigen. Daher wurde zu Beginn für vier fiktive urbane Baustellen der jeweilige IST-Zustand der THG-Emissionen auf Basis festgelegter Systemgrenzen ermittelt. Die definierten Systeme für Neubau, Sanierung und Rückbau beinhalten sowohl Prozesse auf der Baustelle als auch Transportprozesse von und zur Baustelle. Bei den Baustellen handelt es sich um einen neuen Hochbau, eine thermische Sanierung eines Wohngebäudes, urbane Asphaltierungsarbeiten und einen Abriss eines Bürogebäudes. Für die vier Baustellen wurden Daten von realen, bereits fertiggestellten Baustellen herangezogen und durch Daten aus der Literatur bzw. Einschätzungen von Expert:innen vervollständigt. Aufbauend auf dem IST-Zustand erstellten die Autor:innen Szenarien für die Verringerung der THG-Emissionen bis zur "CO2-neutralen Baustelle". Die Szenarien zeigen mögliche kurzfristige Reduzierungen bis 2023 und langfristige Reduzierungen bis 2050 auf.
Ergebnisse und Schlussfolgerungen
Die Erreichung einer CO2-neutralen Baustelle gliedert sich in fünf Schritte, wobei vier Schritte zur Verringerung der THG-Emissionen beitragen. Die Schritte zur Reduktion der CO2-Emissionen sind organisatorische Maßnahmen, technologische Entwicklungen, Erzeugung von erneuerbarer Energie auf der Baustelle und der Zukauf von erneuerbarer Energie. Als fünfter Schritt müssen verbleibende CO2-Emissionen finanziell kompensiert werden.
Die Ergebnisse der THG-Emissionen der vier fiktiven Baustellen zeigen, dass die wesentlichen Energieträger für die Baustellenaktivitäten Diesel und Strom sind. Einen großen Anteil an den Treibhausgas-Emissionen bei der Bautätigkeit bildet der An- und Abtransport von Materialien per LKW. Die Anteile variieren nach Baustellentyp.
Die gerechneten Szenarien für 2023 zeigen, dass bereits Maßnahmen zur Verfügung stehen, um kurzfristig CO2-Einsparungen umzusetzen. Die Verringerungspotentiale für Treibhausgas-Emissionen auf Baustellen für 2023 reichen je nach Baustellentyp und Rahmenbedingungen von 21 % bis 52 %. Die größten Einsparpotentiale liegen bei der Reduktion von Transportdistanzen, alternativen Treibstoffen/Antriebsformen und dem Zukauf von Strom aus erneuerbaren Quellen. Spezifische Maßnahmen können aufgrund der individuellen Baustelle nicht pauschal vorgegeben werden, sondern müssen immer auf jede einzelne Baustelle abgestimmt werden.
Parallel dazu wurden Kosten/Nutzen-Vorteile einer CO2-neutralen Baustellen anhand einer Investitionskostenabschätzung aufgezeigt und quantifiziert. Je nach Vorhaltezeiten sind gegenwärtig einige elektrisch betriebene Kleinbagger günstiger als dieselbetriebene Geräte. In Zukunft könnte sich ein wirtschaftlicher Nutzen über den Lebenszyklus großer Elektrobaugeräte ergeben.
Die wesentlichen Hemmnisse zur Erreichung einer CO2-neutralen Baustelle sind die entstehenden Kosten und ein Mangel an erfolgreich durchgeführten Pilotprojekten mit praxistauglichen Alternativen. Die Baubranche sieht Fördermaßnahmen, Bewusstseinsbildung und Änderungen bei Gesetzen und Vorschriften als Chance für die erfolgreiche Umsetzung von CO2-neutralen Baustellen. Die breite Kenntnis digitaler Technologien zur Optimierung von Bauprojekten in Planungs- und Bauunternehmen muss weiter vorangetrieben werden, damit BIM, Taktplanung und LEAN Management-Methoden in der Praxis zu Einsparung von CO2-Emissionen führen.
Ausblick
Für die Zukunft empfehlen die Autor:innen die Entwicklung einer standardisierten Datenerfassung zur vereinfachten Berechnung der THG-Emissionen, die es den Baubeteiligten erleichtert, THG-Emissionen effizient zu erfassen und Maßnahmen zu deren Reduktion oder Verlagerung zu planen und umzusetzen. Die fiktiven Baustellen müssen im Zuge von Demonstrationsprojekten zu realen CO2-neutralen Baustellen übergeführt werden. Dabei sollten in Feldforschungen möglichst viele organisatorische und technische Maßnahmen getestet werden. Es wird empfohlen, in der Umsetzung einer CO2-neutralen Baustelle verpflichtende Verringerungsmaßnahmen, weitere Ökoindikatoren sowie Aspekte der Ökologie, wie Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft einzubeziehen.

Kurzfassung englisch:
Motivation and research question
The R&D project "CO2-neutrale Baustelle", funded by the FFG as part of the research program "City of tomorrow" in the 7th call for proposals of The Federal Ministry for Climate Action (BMK), of the research department Construction Process and Methods at the TU Wien and the Resource Management Agency (RMA) identified the opportunities and obstacles of climate-neutral construction sites.
Initial situation/status quo
Nowadays reducing greenhouse gases is a global joint effort. In this regard the European Union as well as Austria are pursuing an ambitious goal: reaching so-called climate-neutrality until 2050 (EU) and 2040 (Austria) respectively. In previous years the building sector could reach substantial reduction in greenhouse gases. Nevertheless, there still exists need and potential for additional reductions. Therefore, the carbon neutral construction site represents a crucial puzzle stone within the object lifecycle that has not been sufficiently considered in the past.
Project contents and objectives
The aim of this project was to develop a methodology for identifying the greenhouse gas emissions generated on construction sites based on existing standards. In a further step, possibilities for reducing these emissions were to be identified and their potential evaluated qualitatively and - where possible - quantitatively. In the presented report, the focus was on the reduction of greenhouse gases. Other environmental and health aspects or rebound effects are outside the research scope of the present study.
Methodical procedure
The research questions posed were answered by means of a national and international literature review, interviews with experts from the construction industry, an online survey, and a workshop. These methods were implemented to ensure high research quality and applicability in the Austrian construction industry.
Currently, there are no standardized regulations to identify all direct and indirect CO2 emissions on a construction site and to identify necessary framework conditions as well as technologies for their substitution, compensation, or adaptation. Therefore, at the beginning, the respective current state of GHG emissions was determined for four fictitious urban construction sites based on defined system boundaries. The systems for construction, renovation, and demolition include processes on the construction site as well as transport processes to and from the construction site. The construction sites are a new residential building, an energy efficient renovation of a residential building, urban infrastructure asphalting works, and a demolition of an office building. For the four construction sites, data from real, already completed construction sites were used and supplemented by data from the literature or assessments by experts. Based on this defined current state of GHG emissions, the authors created scenarios for reducing GHG emissions until a CO2-neutral construction site is achieved. The scenarios were calculated to show potential short-term reductions in 2023, and long-term reductions by 2050.
Results and conclusions
In this project, achieving a CO2-neutral construction site is divided into five steps, with four steps contributing to the reduction of GHG emissions on site. The steps to reduce CO2 emissions are organizational measures, technological developments, generation of renewable energy on the construction site, and the purchase of renewable energy. As a fifth step, remaining CO2 emissions must be financially compensated.
The GHG emissions for the four fictitious construction sites show that the major energy sources for construction site activities are diesel and electricity. A major contributor to GHG emissions from construction activities is the transportation of materials to and from the site by truck. The proportions vary by construction site type.
The calculated scenarios for 2023 show that measures are already available to implement CO2 savings in the short term. The reduction potential for greenhouse gas emissions at construction sites for 2023 range from 21% to 52%, depending on the type of construction site and general conditions.
The greatest savings potential is in the reduction of transport distances, alternative fuels/motors, and the purchase of electricity from renewable sources. Specific measures cannot be prescribed in a blanket manner due to the individual construction site but must always be tailored.
In parallel, cost/benefit advantages of a CO2-neutral construction site were demonstrated by the authors and quantified by means of an investment cost estimate. Depending on time of use, some small electric-powered excavators are currently less expensive than diesel-powered equipment. In the future, there could be an economic benefit over the life cycle of large electric construction equipment.
The main barriers to achieving a CO2-neutral construction site are the costs incurred and the lack of successfully implemented pilot projects that test practical alternatives. The conducted survey showed that the construction industry sees subsidies, awareness raising, and changes in laws and regulations as opportunities for the successful implementation of CO2-neutral construction sites. Design and construction companies must advance their understanding and use of digital technologies for optimizing construction projects so that BIM, cycle planning, and LEAN management methods can lead to CO2 emission savings in practice.
Outlook
For the future, the authors recommend the development of standardized data collection for the simplified calculation of GHG emissions, which will make it easier for construction stakeholders to efficiently record GHG emissions and to plan and implement measures to reduce or shift them. The fictitious construction sites must be converted to real CO2-neutral construction sites as funded pilot projects. As many different organizational and variable technical measures should be tested in field research. It is recommended to include mandatory reduction measures, further eco-indicators as well as aspects of ecology - such as resource efficiency and circular economy -in the implementation of a CO2-neutral construction site.

Schlagworte:
CO2-Emission, Klimaneutralität, Baustellenbetrieb, Baugerätetechnologie, CO2-Baustellenausweis


Elektronische Version der Publikation:
https://publik.tuwien.ac.at/files/publik_299475.pdf


Erstellt aus der Publikationsdatenbank der Technischen Universität Wien.